Teufelskreis Armut Weltjugendtagspilger aus Bistum Trier besuchen Favela in Rio de Janeiro Rund ein Drittel der 6,3 Millionenstadt Rio soll in Favelas leben. Rio/Trier – Brasilien, ein Land des Tanzes und der Lebensfreude. Ein Land reich an Natur, Kultur, aber auch Geld. Gleichzeitig ist es aber auch ein Land mit großen Umweltproblemen. Und mit gravierender Armut. Alleine in Rio de Janeiro gibt es rund 1.600 Armenviertel, so genannte Favelas. Im Rahmen ihrer Reise zum Weltjugendtag haben Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Bistum Trier die Favela Morro de Sao Carlos in Rio besucht. „Es ist doch schon ungewöhnlich und beklemmend zu sehen, wie eng die Menschen hier aneinander wohnen“, ist der erste Eindruck von Bernd Artmann (27) aus Gutenberg. Auch die schief hängenden Stromleitungen, die wirr und eher notdürftig miteinander verbunden sind, beunruhigen ihn. Und als es langsam dunkel wird, fühlt sich Artmann „dann doch unwohl“, sagt er. Die Favela Morro de Sao Carlos ist ein „rechtsloser“ Raum, das heißt, „der Staat hat seine Autorität aufgegeben“, erklärt Patrick Godar von der Bischöflichen Fastenaktion Luxemburg, die auch in Morro de Sao Carlos ein Projekt unterstützt. Drogen- und Waffenbanden machten ihre eigenen Gesetze in der Favela. Öffentliche Einrichtungen wie Feuerwehr oder Erste Hilfe gebe es nicht. In der Favela gebe es große Arbeitslosigkeit, beschränkte räumliche Verhältnisse, schlechte hygienische Bedingungen und ungenügende Infrastrukturen, erklärt Godar weiter. Die Häuser gehörten den Bewohnern nicht, sie seien nach und nach illegal erbaut worden. So sei in den letzen 50 bis 100 Jahren eine Kultur entstanden, „die nicht auf rechtlichen Füßen steht und der Willkür ausgeliefert ist“. Die Bewohner hätten oft viele Kinder, denn das bedeute eine Versicherung für das Alter. „Aber diese Versicherung kostet etwas“, sagt Godar. „Und dafür haben sie kein Geld.“ Zahlreiche Kinder seien daher mangelernährt, ihr Leben von Gewalt beherrscht. In der Favela lebten auch viele alleinerziehende Mütter, die tagsüber ihren Berufen nachgehen – etwa Müll sammeln, waschen oder sich gar prostituieren. In dieser Zeit wüssten sie häufig nicht, wo sie ihre Kinder unterbringen sollten. So sei es auch schon vorgekommen, dass Kleinkinder zuhause eingesperrt würden, ohne fließendes Wasser oder Sanitäranlagen – und das oft bei großer Hitze. „Das ist ein Teufelskreis“, sagt Godar. Denn Kinder, die so aufwüchsen, hätten körperliche und psychische Probleme, die später wiederum auch ihren eigenen Nachwuchs belasteten. Und es sei schwer aus dieser Armut heraus zu kommen. Aber nicht unmöglich. Die Gruppe aus dem Bistum Trier besuchte in der Favela einen Kinderhort für Zwei- bis Vierjährige, in dem derzeit rund 45 Kinder untergebracht sind sowie ein Zentrum für Vier- bis 16-Jährige, das derzeit rund 75 jungen Menschen pädagogische Unterstützung bietet. Geleitet wird die Einrichtung von Maria da Conceicao Lima (46). Seit zwanzig Jahren arbeitet die Brasilianerin, die ursprünglich aus Sao Paulo kommt, schon hier und hat viele junge Menschen kommen und gehen sehen. Rund 10.000 schätzt sie. Das Zentrum, das sich Cadef nennt, soll ein Schutz sein für Kinder und Jugendliche, „damit sie nicht auf der Straße sind“, erklärt sie, und so nicht vom im Favela herrschenden Waffen- und Drogenhandel vereinnahmt werden. Lima hat schon viele Kinder und Jugendlichen auf diese Weise verloren. „Kinder, die dabei mitmachen, sterben früh“, sagt sie. Jedes Schicksal bewegt sie. So auch das eines Jugendlichen, der mit einer Spielzeugpistole einen Überfall begehen wollte, und dabei erschossen wurde. Das Positive überwiege aber, sagt Lima. Zwar sei ihre Arbeit angesichts der rund 90.000 Einwohner der Favela nur ein kleiner Beitrag, aber einige ihrer Schützlinge hätten es geschafft, Arbeit zu finden, eine Familie zu gründen, aus der Situation herauszukommen. Leider gebe es in der Favela zu wenige soziale Einrichtungen, erklärt Lima. Es könne noch viel mehr getan werden. Dabei seien sie aber auf die Hilfe von außen angewiesen. Derzeit wird das Projekt hauptsächlich unterstützt von der Bischöflichen Fastenaktion Luxemburg – finanziell und mit Schulungen. Mit staatlicher Unterstützung allein sei die Arbeit nicht möglich, sagt Lima. „Auch aus diesem Grund ist der Besuch in unserer Institution von Jugendlichen während des Weltjugendtages sehr wichtig“, sagt sie. „Die jungen Leute sollen verstehen, worum es bei unserer Arbeit geht.“ Patrick Godar blickt positiv in die Zukunft. „Es ist zu hoffen, dass mehr Initiativen von der Regierung auch umgesetzt werden“, sagt er. Es seien ausreichend Finanzmittel als auch Fachkräfte im Land vorhanden. Die Protestaktionen gegen soziale Ungerechtigkeit könne er nachvollziehen und sie könnten auch etwas verändern – schon angesichts der kommenden Großereignisse in Brasilien: Die Fußballweltmeisterschaft und die Olympiade. „Diese könnten die Regierung zwingen, im sozialen Bereich etwas konkret werden zu lassen, damit sozialer Friede da ist“, sagt Godar. Die Erhöhung des Preises des Öffentlichen Nahverkehrs sei ein Wassertropfen gewesen, der das Fass zum überlaufen gebracht habe. Gewaltvolle Ausschreitungen würden aber von der Mehrheit nicht akzeptiert werden. Dem Eindruck Godars nach hielten sich die Protestierenden während des Weltjugendtages zurück. „Es hat den Anschein, dass sie den Weltjugendtag nicht stören wollen“, sagt er. Die wenigen Unruhen seien kleine Randerscheinungen gewesen. „Die Einwohner Rios wollen, dass der Weltjugendtag ein Erfolg wird“, sagt Godar. Für den Weltjugendtagspilger Bernd Artmann war es wichtig besonders im Rahmen des Weltjugendtages auch ein Armutsviertel Brasiliens kennen zu lernen. „Ich bin nicht nur wegen dem Papst hier in Brasilien“, sagt er, sondern auch um das Land und die Leute kennen zu lernen. Und da gehöre der Besuch einer Favela dazu. „Denn auch das ist Brasilien.“