Der Heilige Stuhl

APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS

NACH PANAMA AUS ANLASS DES 34. WELTJUGENDTAGES

(23.-28. JANUAR 2019)

HEILIGE MESSE ZUM WELTJUGENDTAG

PREDIGT DES HEILIGEN VATERS

 

Campo San Juan Pablo II – Metro Park (Panama)

Sonntag, 27. Januar 2019

 

»Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: Heute

hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt« (Lk 4,20-21).

So stellt uns das Evangelium den Beginn der öffentlichen Mission Jesu dar. Es schildert das

Ereignis in der Synagoge seines Heimatortes, umgeben von Bekannten und Nachbarn und – wer

weiß – vielleicht auch von manchen „Katecheten“ aus der Kindheit, die ihn das Gesetz gelehrt

hatten. Ein wichtiger Augenblick im Leben des Meisters, der als Kind im Schoß jener

Gemeinschaft erzogen wurde und aufgewachsen war. Er stand nun auf und ergriff das Wort, um

den Traum Gottes zu verkünden und umzusetzen. Ein Wort, das bis dahin nur als

Zukunftsverheißung verbreitet worden war, das aber im Munde Jesu nur im Präsens gesagt

werden konnte, da es zur Gegenwart wurde: »Heute hat es sich erfüllt.«

Jesus offenbart das Jetzt Gottes, der uns entgegenkommt, um auch uns aufzurufen, an seinem

Jetzt teilzunehmen, in dem den Armen eine frohe Botschaft gebracht, den Gefangenen die

Entlassung verkündet und ein Gnadenjahr des Herrn ausgerufen wird (vgl. Lk 4,18-19). Es ist das

Jetzt Gottes, das sich durch Jesus gegenwärtig wird. Es erhält ein Gesicht, wird zu Fleisch, zu

barmherziger Liebe, die nicht auf ideale Situationen, auf vollkommene Situationen für ihre

Offenbarung wartet. Sie braucht keine Ausreden zu ihrer Realisierung. Er ist die Zeit Gottes. Er

macht jede Situation und jeden Raum richtig und geeignet. In Jesus beginnt die verheißene

Zukunft und wird lebendig.

Wann? Jetzt. Aber nicht alle seine damaligen Zuhörer haben sich angesprochen oder aufgerufen

gefühlt. Nicht alle Bewohner von Nazaret waren bereit, an jemanden zu glauben, den sie hatten

aufwachsen sehen und sie dazu einlud, einen so sehr ersehnten Traum zu verwirklichen. Im

Gegenteil, sie sagten: „Aber ist das nicht Josefs Sohn?“ (vgl. Lk 4,22).

Auch uns kann das Gleiche passieren. Nicht immer glauben wir, dass Gott so konkret und im

Alltag anwesend sein kann, so nah und wirklich; und noch weniger, dass er sich durch eine

bekannte Person, einen Nachbar, einen Freund oder einen Familienangehörigen so gegenwärtig

macht und durch sie handelt. Nicht immer glauben wir, dass der Herr uns einladen kann, mit ihm

in seinem Reich auf so einfache, aber wirkungsvolle Weise zu arbeiten und uns die Hände

schmutzig zu machen. Es kostet uns Überwindung anzunehmen, dass die göttliche Liebe in der

Geschichte durch alle ihre schwierigen und ruhmvollen Ereignisse konkret und gleichsam greifbar

wird (vgl. Benedikt XVI., Katechese, 28. September 2005).

Und nicht selten verhalten wir uns wie die Bewohner von Nazaret, wenn uns ein

Gott auf Distanz lieber ist: schön, gut, großzügig, schön dargestellt, aber fern, so dass er vor allem nicht unbequem

wird, ein gezähmter Gott. Weil ein naher Gott im Alltag, ein Gott, der Freund und Bruder ist, von

uns verlangt, Nähe, Alltäglichkeit und vor allem Geschwisterlichkeit zu lernen. Er wollte sich

nicht unter Engelsgestalt oder auf spektakuläre Weise zeigen, sondern wollte uns ein brüderliches

und freundschaftliches, konkretes und familiäres Gesicht schenken. Gott ist wirklich, weil die Liebe

wirklich ist, Gott ist konkret, weil auch die Liebe konkret ist. Und es ist genau diese Konkretheit der

Liebe, die eines der wesentlichen Elemente für das Leben der Christen ist (vgl. Ders.,

Predigt, 1. März 2006).

Auch wir können den gleichen Risiken wie die Menschen in Nazaret ausgesetzt sein, wenn in

unseren Gemeinschaften das Evangelium zu konkretem Leben werden will und wir anfangen zu

sagen: „Aber sind diese Jungen nicht Söhne von Maria, von Josef und sind sie nicht Brüder von ...

Verwandte von ...? Sind diese nicht die Jungen, denen wir geholfen haben aufzuwachsen ...? Der

soll still sein, wie können wir dem glauben? War das nicht derjenige, der immer die Fenster mit

dem Ball einschlug?“ Und einer, der geboren wurde, um Prophetie und Verkündigung des Reiches

Gottes zu verkörpern, wird gezähmt und verkümmert in seiner schlimmsten Ausführung. Das Wort

Gottes zähmen zu wollen ist eine Versuchung, die tagtäglich vorkommt.

Und auch euch, liebe junge Freunde, kann das Gleiche passieren; jedes Mal, wenn ihr denkt, dass

eure Sendung, eure Berufung, ja selbst euer Leben eine Verheißung ist, die aber nur für die

Zukunft gilt und nichts mit der Gegenwart zu tun hat. Als ob jung zu sein gleichbedeutend wäre mit

„Wartezimmer“ für jemanden, der auf seinen Termin wartet. Und in der „Zwischenzeit“ bis zu

diesem Termin erfinden wir für euch oder ihr selbst erfindet eine hygienisch gut verpackte und

folgenlose Zukunft, die gut aufgebaut und in der alles gewährleistet und „gut abgesichert“ ist. Wir

wollen euch nicht eine Zukunft aus dem Labor anbieten! Das ist die „Fiktion“ der Freude, nicht die

Freude des Heute, des Konkreten, der Liebe. Und so „beruhigen“ wir euch mit dieser Fiktion der

Freude, wir schläfern euch ein, damit ihr keinen Krach macht, damit ihr nicht zu sehr stört, damit

ihr euch selbst und uns keine Fragen stellt, damit ihr euch selbst und uns nicht in Frage stellt. Und

in dieser „Zwischenzeit“ verblassen eure Träume, sie kriechen dahin, sie beginnen einzuschlafen

und sind kleine, traurige „Illusionen“ (vgl. Predigt am Palmsonntag, 25. März 2018), nur weil wir

meinen oder ihr meint, dass euer Jetzt noch nicht gekommen ist; dass ihr zu jung seid, um euch

beim Träumen und Aufbauen der Zukunft einzubringen. Und so schicken wir euch wieder weiter

... Und wisst ihr was? Vielen jungen Leuten gefällt das. Bitte, helfen wir ihnen, es so zu machen,

dass es ihnen nicht gefällt, so dass sie reagieren, so dass sie das „Jetzt“ Gottes leben wollen.

Eine der Früchte der kürzlich abgehaltenen Synode war der Reichtum, uns treffen und vor allem

uns zuhören zu können. Der Reichtum des generationenübergreifenden Zuhörens, der Reichtum

des Austausches und der Wert anzuerkennen, dass die einen auf die anderen angewiesen sind,

dass wir uns bemühen müssen, die Kanäle und Räume zu fördern, in denen wir uns beim

Träumen und Aufbau des Morgen schon von heute an einbringen können. Aber nicht isoliert,

sondern vereint, indem wir einen gemeinsamen Raum schaffen. Einen Raum, der nicht verschenkt

wird und den wir nicht in der Lotterie gewinnen, sondern einen Raum, für den auch ihr kämpfen

müsst. Ihr Jugendlichen müsst euch euren Platz heute erkämpfen, weil das Leben heute

stattfindet. Keiner kann dir einen Tag in der Zukunft versprechen: dein Leben ist heute, heute

kommst du ins Spiel, dein Spielraum ist heute. Wie gehst du damit um?

Ihr, liebe junge Freunde, ihr seid nicht die Zukunft. Wir sagen gern: „Ihr seid die Zukunft ...“ Nein,

ihr seid die Gegenwart! Ihr seid nicht die Zukunft Gottes: ihr jungen Leute seid das

Jetzt Gottes!

Er versammelt euch, er ruft euch in euren Gemeinschaften, er ruft euch in euren Städten dazu auf,

nach den Großeltern, nach den Erwachsenen Ausschau zu halten; aufzustehen und zusammen

mit ihnen das Wort zu ergreifen und den Traum zu verwirklichen, mit dem der Herr euch geträumt

hat. Nicht morgen, jetzt; denn dort, jetzt, wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz (vgl. Mt 6,21). Und

das, worin ihr verliebt seid, wird nicht nur eure Vorstellungskraft erobern, sondern es wird alles

einbeziehen. Es wird das sein, was euch am Morgen zum Aufstehen bringt und euch in den

Augenblicken der Ermüdung anspornt, was euch das Herz zerreißen wird und euch mit Staunen,

mit Freude und Dankbarkeit erfüllen wird. Spürt, eine Mission zu haben und verliebt euch in sie,

und davon wird alles abhängen (vgl. Pedro Arrupe, SJ, Nada es más práctico). Wir werden alles

haben können, aber, junge Freunde, wenn die Leidenschaft der Liebe fehlt, wird alles fehlen. Die

Leidenschaft der Liebe heute! Lassen wir zu, dass der Herr uns zum Verlieben bringt und uns zum

Morgen führt!

 

Für Jesus gibt es keine „Zwischenzeit“, sondern eine barmherzige Liebe, die ins Herz eindringen

und es erobern will. Er will unser Schatz sein, weil Jesus nicht eine „Zwischenzeit“ in unserem

Leben oder eine vorübergehende Mode ist, er ist hingebungsvolle Liebe, die zur Hingabe einlädt.

Er ist konkrete, heute nahe, wirkliche Liebe; er ist festliche Freude, die entsteht, wenn man sich

dafür entscheidet, am wunderbaren Fischfang der Hoffnung und der Liebe, der Solidarität und der

Geschwisterlichkeit teilzunehmen angesichts so vieler gelähmter und lähmender Blicke aufgrund

der Ängste und des Ausschlusses, der Spekulation und der Manipulation.

Brüder und Schwestern, der Herr und seine Sendung sind nicht eine „Zwischenzeit“ in unserem

Leben, etwas Vorübergehendes, nicht nur ein Weltjugendtag: Sie sind unser Leben heute und auf

dem weiteren Weg! All diese Tage über hat uns auf besondere Weise wie eine Hintergrundmusik das Wort Marias

„Mir geschehe“ begleitet. Sie hat nicht nur an Gott und an seine Verheißungen als etwas Mögliches

geglaubt, sie hat Gott geglaubt und den Mut gehabt, „ja“ zu sagen, um an diesem Jetzt

des Herrn teilzunehmen. Sie hat gespürt, eine Mission zu haben, sie hat sich verliebt und dies hat alles

entschieden. Möget ihr spüren, dass ihr eine Mission habt, möget ihr zulassen, dass ihr euch

verliebt, und der Herr wird alles entscheiden.

Und wie es in der Synagoge von Nazaret geschehen ist, steht der Herr mitten unter uns, seinen

Freunden und Bekannten, erneut auf, nimmt das Buch und sagt uns: »Heute hat sich das

Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt« (Lk 4,21).

Liebe junge Freunde, wollt ihr die Konkretheit seiner Liebe leben? Euer „Ja“ möge weiterhin das

Eingangstor sein, auf dass der Heilige Geist der Kirche und der Welt ein neues Pfingsten schenke.

So sei es.

 

Abschließender Gruß

Zum Schluss dieser Feier danke ich Gott dafür, dass er uns die Möglichkeit gegeben hat, diese

Tage miteinander zu verbringen und erneut diesen Weltjugendtag zu erleben.

Insbesondere möchte ich dem Herrn Präsidenten von Panama, Juan Carlos Varela Rodríguez, für

seine Anwesenheit bei dieser Feier danken wie auch allen anderen politischen und zivilen

Autoritäten.

Ich danke Erzbischof José Domingo Ulloa Mendieta von Panama, für seine Hilfsbereitschaft und

seine guten Dienste, um diesen Weltjugendtag in seiner Diözese auszurichten, wie auch den

anderen Bischöfen dieses Landes und der benachbarten Länder für all das, was sie in ihren

Gemeinschaften getan haben, um vielen jungen Menschen Unterkunft und Hilfe zu gewähren.

Danke an alle Personen, die uns mit ihrem Gebet unterstützt haben und mit ihrem Einsatz und

ihrer Arbeit daran mitgewirkt haben, um den Traum des Weltjugendtags in diesem Land

Wirklichkeit werden zu lassen.

Und euch, liebe junge Freunde, ein großes „Dankeschön“. Euer Glaube und eure Freude haben

Panama, Amerika und die ganze Welt zum Pulsieren gebracht. Wie wir viele Male in diesen Tagen

in der Hymne des Weltjugendtags gehört haben: „Aus Städten, Kontinenten und Nationen

kommen wir als Pilger“. Wir sind unterwegs: Geht weiter auf dem Weg, lebt den Glauben weiter

und teilt ihn miteinander. Und vergesst nicht, dass ihr nicht das Morgen seid, dass ihr ihr nicht die

„Zwischenzeit“ seid, sondern das Jetzt Gottes.

 

Der Ort des nächsten Weltjugendtages ist bereits verkündet worden. Ich bitte euch, das, was ihr in

diesen Tagen erlebt habt, nicht abkühlen zu lassen. Kehrt in eure Pfarreien und eure

Gemeinschaften zurück, in eure Familien und zu euren Freunden. Gebt das, was ihr erlebt habt,

weiter, damit andere den Schwung der Kraft und der konkreten Hoffnung leben, die euch erfüllt.

Und sagt auch weiterhin mit Maria „ja“ zu dem Traum, den Gott in euch gesät hat.

Und bitte, vergesst nicht, für mich zu beten.

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